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Das Märchen vom Weißdorn – Die Hüterin des Herzens

  • Autorenbild: Unkrautgourmet
    Unkrautgourmet
  • 14. Okt.
  • 2 Min. Lesezeit

Es war einmal, tief in der Heide, ein Busch, der anders war als die anderen. Während die Birken ihre weißen Stämme in den Himmel reckten und die Heidepflanzen in lila Blüte standen, wuchs er krumm und dicht, mit starken Zweigen und spitzen Dornen. Er war der Weißdorn.

Die Tiere mieden ihn. Die Kinder, die durch die Heide spielten, machten einen Bogen um ihn, denn sie fürchteten seine Stacheln. „Ein Strauch voller Dornen, was soll er uns schon geben?“, sagten sie. Selbst die Kräutersammlerinnen, die sonst jedes Kraut zu nutzen wussten, beachteten ihn kaum.

Doch der Weißdorn hütete ein Geheimnis. Tief in seinem Holz schlug ein unsichtbares Herz. Es war das Herz des Waldes selbst – voller Wärme, Liebe und Lebenskraft. Seine roten Früchte waren kleine Funken dieses Herzens, und jeder, der sie kostete, konnte spüren, wie Mut und Hoffnung zurückkehrten. Doch kaum jemand wagte sich nah genug heran.

Eines Abends, als die Sonne rot über der Heide versank, kam ein junges Mädchen den sandigen Weg entlang. Ihr Herz war schwer – zu viele Sorgen lasteten auf ihr. Es schlug unruhig, als ob es die Last nicht mehr tragen könne. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie setzte sich am Rand des Weges nieder, direkt unter den Weißdorn, ohne darauf zu achten, dass seine Dornen ihr Kleid streiften.

Der Wind erhob sich und ließ die Zweige des Weißdorns rauschen. Es war, als würde der Busch flüstern. „Warum weinst du, Kind des Herzens?“ hörte das Mädchen eine Stimme, sanft und doch kräftig wie ein Pulsschlag.

„Weil ich mich schwach fühle,“ antwortete das Mädchen. „Mein Herz ist so müde. Niemand versteht mich, und ich habe keine Kraft mehr.“

Da regte sich der Weißdorn. Seine Zweige neigten sich zu ihr herab, und zwischen den Dornen leuchteten die roten Früchte im letzten Abendlicht wie kleine Laternen. „Fürchte meine Dornen nicht,“ sprach der Strauch. „Sie sind nur meine Wächter. Dahinter verbirgt sich mein Geschenk: die Kraft des Herzens.“

Das Mädchen zögerte, doch dann pflückte sie eine Frucht. Sie war herb im Geschmack, aber mit einer tiefen, stillen Süße. Als sie sie aß, spürte sie, wie eine Wärme in ihre Brust strömte. Ihr Atem wurde ruhiger, ihr Herz schlug gleichmäßiger, und eine leise Freude erfüllte sie.

Die Dornen, die sie zuvor gefürchtet hatte, schienen nun wie ein schützender Ring. Sie erkannte: Alles, was wertvoll ist, braucht manchmal einen Wächter.

Von diesem Tag an erzählte sie allen Menschen vom geheimnisvollen Strauch. Die Alten nannten ihn fortan die Hüterin des Herzens. Die Vögel bauten Nester in seinen Zweigen, geschützt vor Feinden. Die Menschen sammelten seine Früchte, kochten daraus Tränke und stärkten ihre Herzen. Und wenn jemand traurig oder schwach war, hieß es: „Geh zum Weißdorn. Er wird dich lehren, dass auch hinter den Dornen Liebe und Kraft wohnen.“

Und so steht der Weißdorn bis heute an Wegen und in Hecken, scheinbar still und unscheinbar – doch wer innehält, die Augen schließt und ihm lauscht, hört noch immer sein Flüstern:

„Dein Herz ist stärker, als du glaubst. Hab keine Angst vor den Dornen des Lebens – sie führen dich zu deinem inneren Schatz.“



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